Essenz

Die Reise, die wir in den vergangenen Monaten unternommen haben, war von Anfang an nicht als „Urlaub“ im Sinne von Entspannen, Faulenzen und Besichtigungen geplant.

Derlei Vorstellung einer langen Rad-Reise passt auch nicht zu einer Unternehmung, die mit Anstrengungen und Entbehrungen einhergeht und zudem zeitlich begrenzt ist.
Natürlich wollten wir mit der Reise auch testen, zu was wir – mental und körperlich – mit Anfang 50 noch in der Lage sind. Können und wollen wir Berge hochkraxeln, an die wir uns unter normalen Umständen niemals rangetraut hätten? Sind wir fähig, losgelöst von bekannter und vollständig durchgeplanter Verkehrs- und Einkaufsinfrastruktur unser Dasein zu bewältigen? Sind wir in der Lage, uns auch unter einfachsten Bedingungen sowohl sicher als auch zufrieden zu fühlen? Wie sieht es mit unserer Partnerschaft aus – wie ist es, wenn wir für drei Monate quasi jede Minute miteinander verbringen? Diese Fragen – wo wir also aktuell stehen – konnten wir im Rahmen unserer Tour recht zufriedenstellend für uns klären.

Wir haben erfahren, dass es unabhängig vom Alter kaum ein Hindernis gibt, welches wir nicht überwinden können. Sei es weil körperliche Anstrengung erforderlich ist, der Mut auf andere Menschen zuzugehen oder auch schlicht bei der Frage Dinge zu essen, die man bisher nicht unbedingt auf seiner Speisekarte hatte. Wir haben soviel erlebt und dabei auch unangenehme Erfahrungen gesammelt, die wir aber letzten Endes alle dazu nutzen konnten, uns stärker und sicherer zu fühlen.

Nach 20 Jahren Ehe ist unsere Partnerschaft stärker denn je. Wir haben erfahren, dass wir uns jederzeit und uneingeschränkt aufeinander verlassen können. Für uns beide war unsere Tour eine großartige Auffrischung unserer Liebe. Zurück in Berlin haben wir schon so manchen erstaunten Kommentar vernommen, da wir offenbar den Eindruck vermitteln, als seien wir frisch verliebt – sind wir irgendwie auch. Natürlich hätte die Eine oder der Andere nach langer, sehr eng miteinander verbrachter Zeit auch zu dem Schluss kommen können, dass es aufgrund der Umbruchsituation in unserer beider Leben an der Zeit sei, einen neuen Start, diesmal ohne den, bzw. die Andere hinzulegen. Wir wissen aber mehr denn je mit Bestimmtheit, dass wir zusammen gehören und als Team unschlagbar sind.
Wir haben in der ganzen Zeit unserer Reise nichts vermisst. Keinen Fernseher, kein Auto, kein Internet, keinen Supermarkt, kein Hotel, keine Matratze, keinen Vier-Flammen-Herd, keinen Kühlschrank und oft nicht einmal die Uhrzeit. Das Einzige, was wir uns wirklich des Öfteren wünschten war: Besseres Wetter.

Natürlich sind die genannten Errungenschaften unserer Zivilisation großartig und sicherlich war es auch die Gewissheit, dass wir am Ende unserer Reise wieder auf all dies Zugriff haben werden, die es uns leicht gemacht hat, eine begrenzte Zeit ohne auszukommen. Gleichwohl war diese Erfahrung wichtig für uns um – umgeben von Luxus und unendlichen Einkaufsmöglichkeiten – besser hinterfragen zu können, was wir im Leben brauchen und was nicht. Viel ist es nicht, was für uns zu einem zufriedenem Leben gehört und zwar auch langfristig betrachtet. Statussymbole wie ein dickes Auto oder das neueste Smartphone sind Irrungen einer Welt, in der die Menschen nicht mehr erkennen, was das endliche Leben wirklich ausmacht: Vertrauen in das Gute, zwischenmenschliche Beziehungen, füreinander da sein, ein Leben im Einklang mit der Natur und der Erhalt der Ressourcen für die folgenden Generationen.

Auch hatten wir bei der Vorbereitung unserer Reise immer wieder den Wunsch im Kopf, dass unsere Tour quer durch Europa uns inspirieren möge im Hinblick auf unsere weitere Zukunft. Bleiben wir in Berlin oder gehen wir weg aus der Stadt, wie und wo wollen wir leben? Welche Tätigkeit wollen wir ausüben und in welchem Umfang?

Wir haben auf unserer Tour viele wunderschöne Ort gesehen und dazu eine Unmenge leer stehender Häuser, die vermutlich für „nen Appel und nen Ei“ zu erwerben wären. Für ein paar Jahre wäre das sicherlich eine Option, aber „in der Fremde“ – ohne Familie und Freunde alt werden? Gegenwärtig nicht das, was wir uns für die Zukunft wünschen. Verstärkt hat sich unser Wunsch Berlin zu verlassen in jedem Fall. Familie und Freunde haben wir sowohl in NRW, als auch in Berlin, so dass auch ein Leben in Brandenburg seinen Reiz für uns hat. Arbeit gibt es allerdings in Brandenburg kaum – in NRW herrscht annähernd Vollbeschäftigung. Dafür gibt es in Brandenburg viel mehr Ruhe und Beschaulichkeit.

Überhaupt die Arbeit: Am liebsten würden wir gar nicht mehr arbeiten – ein Sinnen, mit dem wir wohl nicht alleine stehen. Bis zur Rente dauert es aber noch und unsere Ersparnisse reichen lange nicht aus, die Zeit bis dahin zu überbrücken. Wir müssen also wieder ran, wollen dabei aber beide eine bessere Work-Live-Balance als bisher anstreben. Also weniger Zeit in Lohnarbeit investieren, um dadurch ein zwar bescheideneres aber zufriedeneres Leben zu erreichen. Ein frommer Wunsch? – Wir werden sehen.

Die Fragen im Hinblick auf unsere weitere Zukunft hatten sich schon vor unserer Reise gestellt und die Antworten darauf zeichneten sich auch schon ab. Was wir jedoch durch die Reise gelernt haben ist, dass wir keine Angst haben brauchen diese Antworten in Handeln umzusetzen. Irgendwie geht es immer weiter…

Liebe Grüße
Kiki + Peter

lissabonberlin-1-4

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